Sonntag, 12. Juni 2016

Wo Licht ist, bleibt auch Schatten. Meine Eindrücke vom #HLM2016AIDS der Vereinten Nationen "ending AIDS by 2030"





"Auf der Überholspur" wollen die Vereinten Nationen AIDS(-Erkrankungen) und die Epidemie bis 2030 wirksam bekämpfen.


Bereits im Vorfeld gab es Ärger, da einige Staaten LGBT*IQ-Organisationen ausschließen wollten. Die Resolution ist und bleibt eine politische Erklärung und damit leider immer ein Minimalkonsens. Die Hauptbetroffenengruppen nicht, oder nur teilweise zu benennen, ist ein Fehler, aber zum Glück haben nicht nur einzelne Staaten sehr deutlich gemacht, dass sie ihr Engagement im Kampf gegen die weltweite Epidemie ausweiten wollen und so ein gutes Beispiel geben. Dazu gehören unter anderem die USA, die Niederlande, die Schweiz, Frankreich und Deutschland. Weitere sicher auch noch, das muss ich später im (wahrscheinlich einige hundert Seiten langem) Protokoll nachlesen - und dann hier ergänzen.

Deutschland hat schon mit der Zusammensetzung der offiziellen, sehr breit aufgestellten, Delegation ein deutliches Zeichen gesetzt. Als Vertreter der positHIVen Community in der Delegation hatte ich die Ehre die Eröffnung in der ersten Reihe mit dem Minister und dem Deutschen Botschafter mitzuerleben. Dafür hat sogar eine Bundestagsabgeordnete auf einen Sitzplatz im Plenarsaal der Vereinten Nationen verzichtet. Liebe Mechthild Rawer, vielen Dank dafür! So saß ich als Repräsentant Deutschlands an der Seite des Ministers im Plenum. Vielen Dank für diese große Ehre!

Meine Rolle als "Selbsthilfe-Vertreter" ließ mir große Freiräume in der Teilnahme an diesem High-Level-Meeting. Ich habe sehr viele Gespräche im Plenum und in den Side-Meetings und Panel-Discussions geführt und mich mit anderen Organisationen und auch nationalen Delegationen vernetzt.

Ein Highlight waren sicherlich die Gespräche mit der Delegation Kubas. Der Gesundheitsminister Roberto Morales Ojeda wurde von der Leiterin des Institutes für Sexualaufklärung und Antidiskriminierung Dr. Mariela Castro Espín begleitet. Bei meinen Besuchen in Kuba wurde mir schon Frau Castro berichtet und ihre Arbeit gelobt. Ich bin sehr froh, dass ich mehrmals mit ihr sprechen konnte. Wir haben uns rasch auf einen inhaltlichen Austausch zu den Themen verständigt auf den ich mich sehr freue. Die neue HIV und STI-Strategie (BIS 2030) war rechtzeitig zum HLM fertig und wurde mit großem Interesse gerade in Kuba und den Mittel und -Südamerikanischen / Karibischen Delegationen aufgenommen. Ich werde versuchen eine Übersetzung ins Spanische zu ermöglichen und sie den Kolleg*innen dort und vor allem den LGBT*IQ-Organisationen zur Verfügung zu stellen.

Nach dem wirklich schon sehr beeindruckendem ersten Tag hatte ich am Vormittag "Plenardienst" mit dem Minister und so die Möglichkeit zum Austausch mit ihm über die Arbeit der PositHIVen Gesichter, der einzelnen Landesnetzwerke und der Präventionskampagnen HESSEN IST GEIL! und die Zusammenarbeit mit der DAH und IWWIT. Ich bin froh, dass wir mit der neuen HIV, STI und Hepatitis-Strategie ein neues, übergreifendes Konzept für die Prävention haben, um auf neue Herausforderungen zu reagieren. Dabei aber nicht vergessen, wie wichtig auch Selbsthilfe und Menschen mit HIV für die Prävention sind, denn Prävention ist nunmal nicht allein Infektionsvermeidung. Es ist sehr motivierend den Minister nicht nur als "starken Mann" im Hintergrund zu haben, sondern an unserer Seite zu wissen.

Am Nachmittag habe ich mich dann auf meine Rede beim Empfang im Deutschen Haus, der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen, vorzubereiten. Man hatte mir erst ganz nebenbei mitgeteilt, dass nicht nur unser Minister und Botschafter anwesend sein würden, sondern auch noch so fünf, sechs andere Minister und Delegationen. Isch waar e bissje nervööös (wie der Hesse so sagt).

Das Echo auf meine Rede (die ihr hier im Wortlaut und der Übersetzung nachlesen könnt) war wirklich beeindruckend für mich und ich bin froh damit auf Ohren und Herzen gestoßen zu sein, um weiter gemeinsam gegen Diskriminierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung zu kämpfen.

Auch für mich ist es unerlässlich die "Hauptbetroffengruppen" klar zu benennen. Leider müssen wir auch explizit schriftlich deutlich machen, wer nicht diskriminiert werden darf, wem die Einreise nicht verwehrt werden darf und wer ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung hat. Ich bedauere wirklich, dass nicht alle "Keypopulations" in der Resolution benannt wurden.

Schwule Männer und Männer, die Sex mit Männern haben.
Sexarbeiter*innen.
Trans*Menschen.
Junge und heranwachsende Mädchen und Frauen.
Menschen, die Drogen nutzen.

(All diese) Menschen dürfen nicht länger diskriminiert, stigmatisiert und ausgegrenzt werden!

Wir können nur dann einen erfolgreichen Kampf gegen AIDS-Erkrankungen und HIV-Infektionen führen, wenn wir Menschen die Möglichkeit geben, sich zu entfalten, zu leben, wie es ihnen entspricht. Frei und in voller Menschenwürde! Wir brauchen dazu überall Gesetze, die Diskriminierung ächten und wir müssen diese Gesetze auch durchsetzen.

Ich unterstütze die Gedanken, eine*n LGBT*IQ-Beauftragt*en der Vereinten Nationen zu installieren, um deutlich zu machen, dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind. Abweichende Haltungen und Handlungen dürfen nicht hingenommen werden.

Aus dem ersten Plenum blieb mir ganz besonders der Vietnamesische Gesundheitsminister in Erinnerung, er teilte seine Redezeit mit einer jungen, HIV-positiven Frau aus seinem Land, die sich für die HIV-Medikamente bedankte: "Sie haben mir mein Leben wieder geschenkt, schenken Sie nun auch anderen Menschen mit HIV deren Leben zurück".

Am Mittwoch nahm ich morgens wieder am Plenum teil und ging dann in eine Podiumsdiskussion zum Thema "Niemanden zurücklassen: Stigma und Diskriminierung mit Sozialgesetzgebung und inklusiven Ansätzen bekämpfen". Hierfür habe ich mich extra umgezogen und bin mit meinem organgenen T-Shirt von unserem Netzwerk PRO+ Hessen zur Sitzung gegangen (ihr seht mich im Bild unten am linken Rand auf dem Platz Deutschlands 😉). Ich war erstaunt, wie viele Staaten eine zum Teil sehr eigenwillige Auffassung von Diskriminierung haben und wer Berater in Belangen Diskriminierung sein sollen. So will der Sudan mit Gottes Hilfe HIV-Infektionen vermeiden und dazu lässt sich die Regierung von Mullahs beraten - AIDS wegbeten sozusagen. Mir scheint, man kann es nicht jedem Staat frei lassen zu entscheiden, was Diskriminierung bedeutet und wer vor Diskriminierung geschützt werden muss.

In dieser Diskussion gingen die Niederlande und Frankreich, beide durch die Ministerinnen auf dem Podium vertreten, deutlich voran und zeigten auf, wie man eine moderne Politik gestalten will: Einbeziehung der "Betroffenengruppen", der Selbsthilfe, Antidiskriminierungspolitik in Gesetzgebung und öffentlichen Kampagnen bis hin zur Entkriminalisierung von Menschen mit HIV und Zusammenarbeit mit den Justizbehören zur Verbesserung des Informationsstands von Richtern und Staatsanwälten.

Besonders gefreut habe ich mich auch über zwei weitere Beiträge in diesem Panel:

Sergio López aus Paraguay, Aktivist von SOMOSGAY und dem GayLatino-Netzwerk.
Er machte uns allen sehr deutlich, wie sich die Situation eines jungen Mannes aus einem der homophobsten Ländern der Welt darstellt. Und er kritisierte die Resolution, weil "schwule Männer, Trans*Menschen und andere Hauptbetroffenengruppen nicht erwähnt, kriminalisisert und so unsichtbar gemacht wurden". Er kritisierte weiter, dass fast alle Nationen AIDS sofort beenden könnten, wenn sie nur das Geld dafür auch einsetzen würden anstatt es in das Militär und andere Dinge zu investieren. "Wir brauchen mehr ehrlichen politischen Willen und Engagement. Wir brauchen mehr globale Solidarität für diese humanitäre Antwort auf HIV & AIDS, um wirklich niemanden zurückzulassen". Und weiter "Wenn wir etwas aus dem 20. Jahrhundert gelernt haben, ist es das, wenn immer es zu Ungleichheiten kommt, werden Minderheiten an den Rand der Gesellschaft gedrängt und müssen unter Ausgrenzung und Diskriminierung leiden". Vielen Dank, Sergio, für dieses starke Statement!

In der zweiten Hälfte des Panels sprach dann noch Laxmi Narajan Triptahi, Trans*Aktivistin aus Indien: "Warum sind Pharmafirmen so wichtig? Warum zwingt die Pharmaindustrie keine Länder in die Knie? Und auch das mächtigste Parlament der Welt, die Vereinten Nationen, knien heute nieder", warft Laxmi den Vertretern der Vereinten vor. Gerade Trans*Menschen sind weltweit erheblich von HIV betroffen und werden ebenso weltweit ausgegrenzt, diskriminiert und misshandelt. Sie mahnte an, dass die 90-90-90 Ziele sicher ehrgeizige Ziele sind, aber dennoch bleiben auch so 10-10-10 zurück und wenn das Ziel "Leaving no one behind" ist, dann dürfen wir auch nicht einhalten bis wir alle Menschen erreicht haben. "Das wahre Ziel muss lauten: 100-100-100!"

Diese beiden, sehr bewegenden, Beiträge hoffe ich später im Wortlaut veröffentlichen zu können.

Am Freitag musste ich mich dann schon auf meine Abreise vorbereiten und nutze die Zeit noch für ein paar kleine Gespräche und Verabschiedungen mit den neu gewonnenen Kontakten.

Bei aller berechtigten und wichtigen Kritik an den Ergebnissen des HLM ziehe ich eine durchaus positive Bilanz, denn es geht auch um die zukünftige Finanzierung von UNAIDS und dem Global Fund (to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria). Wir brauchen nämlich mehr Geber-Länder, die einzahlen und den Fund weiter finanzieren und die ersten Länder haben sich bereiterklärt ihre Beiträge zum Global Fund zu erhöhen.

Und die politische Erklärung ist nunmal ein Minimalkompromiss und als solcher darf jede Nation diese gemeinsamen Ziele übertreffen. Aber diese Staaten sind ohnehin nicht das Problem. Das Problem sind die Staaten, die Diskriminierung fördern, oder wenigstens zulassen. Und ein paar Staaten haben nun auf internationalen Druck reagiert und dieser Resolution zugestimmt. Das wird für die einzelnen Betroffenen(gruppen) erstmal noch keine konkreten Auswirkungen haben, immerhin stärkt es ihnen den Rücken, macht international auf die Missstände aufmerksam und wir haben bei diesen Meetings die Möglichkeit uns international auf allerhöchster Ebene zu vernetzen. Auch deshalb ist es so wichtig, dass niemand zurückgelassen und ausgeschlossen wird. 

Jetzt ist es an den einzelnen Regierungen Taten folgen zu lassen. In fünf Jahren sehen wir uns hoffentlich wieder und sind ein gutes Stück vorangekommen. Dafür werde ich weiter kämpfen.

Mich hat das #HLM2016AIDS sehr motiviert, ich habe viel gelernt und ich bin sehr stolz und dankbar, dass ich die Ehre hatte Deutschland als Vertreter der Menschen mit HIV in der ersten Reihe zu repräsentieren.

Wer mehr erfahren will, kann mich gerne kontaktieren. Ich hoffe auch ein kleines Video erstellen zu können. 

VIELEN DANK ! ! !

bjoern . positHIV [@] t - online . de

Die Resolution: 
http://www.unaids.org/sites/default/files/media_asset/2016-political-declaration-HIV-AIDS_en.pdf

Links mit Infos zur DAH:
https://www.aidshilfe.de/meldung/vereinte-nationen-hivaids-gebremster-fortschritt
https://www.aidshilfe.de/meldung/sprueche-aids-beenden
https://www.aidshilfe.de/meldung/un-aids-versammlung-beendet-taten-folgen

UNAIDS:
http://www.unaids.org/en/resources/presscentre/pressreleaseandstatementarchive/2016/june/20160609_fund



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